Stadtarchiv Nördlingen
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Nördlinger Stadtgeschichte(n)


Hier finden Sie kurze Texte zu einzelnen Episoden und Aspekten der Nördlinger Stadtgeschichte in loser Folge.

Elefant, Einhorn, Bär & Co ─ Tierische Kuriositäten der Nördlinger Geschichte

Wenn die Nördlinger die Sau rauslassen, kann das kriegsentscheidend sein – so lehrt es die Geschichte. Die Legende von der Sau, die im 15. Jahrhundert durch ihr Schubbern am Löpsinger Tor den Verrat der Torwächter offenbart und die Stadt vor dem heimtückischen Überfall des Grafen Hans von Oettingen bewahrt haben soll, gehört heute zu den identitätsstiftenden Momenten der Stadthistorie und darf bei keiner Stadtführung fehlen. In früheren Zeiten gesellten sich zu den freilaufenden Schweinen in Nördlingens Gassen nicht nur andere Nutztiere wie Hühner und Gänse, sondern auch eine ganze Menge Hunde. Im Spätmittelalter gab es in jedem Haushalt mindestens einen Hund. Ihre Zahl – und damit ihr Gebell – nahm mit der Zeit so überhand, dass der Stadtrat im Jahre 1659 eingriff und Hundefänger anstellte. Sie hatten nächtliche Streuner ohne weiteres zu erschlagen. Bereits seit 1500 ist in Nördlingen ein Hundspeitscher nachweisbar, dessen Aufgabe einzig darin bestand, den besten Freund des Menschen während des Gottesdienstes aus der Kirche zu befördern. Wie die Gemälde holländischer Meister aus jener Zeit belegen, waren die trockenen und offenbar leicht zugänglichen Kirchenräume damals willkommene Tummelplätze für die Vierbeiner.

Aber auch Wildtiere gab es in Nördlingen zu sehen. Im Stadtgraben zwischen Bergertor und Reimlinger Tor wurden nachweislich seit 1427 Hirsche gehalten. Die zahmen Tiere dienten nicht nur zur Beweidung des Grabens, sondern vor allem der „Lust“, wie es in den Quellen heißt – also der Betrachtung und auch der Jagd. Diese war allerdings den Bürgermeistern, Räten und städtischen Beamten vorbehalten und fand auch nicht jedes Jahr statt, da der Wildbestand stets klein gehalten wurde. Im Hungerwinter 1771/72 wurden alle Tiere erlegt und der Graben an Bürger verpachtet, die dort Gärten anlegten. Den Namen „Hirschgraben“ hat dieser Abschnitt des Stadtgrabens aber behalten.

Für Aufsehen sorgten die exotischen und dressierten Tiere, die seit dem Spätmittelalter in loser Regelmäßigkeit vor allem während der Mess’ in Nördlingen gastierten und von zahlendem Publikum bestaunt werden konnten. Die Reihe an Kuriositäten ist lang: Den Anfang macht 1468 ein Kamel, das einen solchen Andrang auslöste, dass die zur Messezeit errichtete Brücke über der Polizeigasse zwischen Brothaus und Fleischbank unter den Schaulustigen zusammenbrach. Wie wir aus einem Eintrag im Rechnungsbuch der Stadtkammer wissen, führte „ein fremder Abenteurer“ im Jahre 1478 gar ein Einhorn vor – also wohl ein Nashorn. 1544/45 hielt der Rat neben den Hirschen ein Büffelkalb im Stadtgraben.

Bleibenden Eindruck hinterließen die Besuche des Elefanten Kaiser Maximilians II., der 1563, 1565 und 1570 Nördlingen passierte. Er hatte eine lange Reise hinter sich: Königin Katharina von Portugal hatte ihn einst aus Indien holen lassen, um ihn ihrem Enkel, einem spanischen Prinzen, zu schenken; der gab ihn an seinen Cousin Maximilian II. weiter. So kam der Elefant auf dem Seeweg nach Antwerpen und trottete von dort über Nördlingen nach Wien. Die Faszination, die der mächtige Dickhäuter aus einem fremden, sagenumwobenen Teil der Welt auf die Menschen damals auslöste, lässt sich heute kaum mehr nachempfinden. Sie schlug sich in den Aufzeichnungen zahlreicher Chronisten, aber auch in bildlichen Darstellungen nieder. So auch in Nördlingen, wo man nach einem Brand gerade das Rathaus renovierte und mit neuen Fresken repräsentativer gestalten ließ. Dem Status als Reichsstadt entsprechend porträtierte der Maler Jesse Herlin eine Reihe römisch-deutscher Kaiser – und Kaiser Maximilian II. aus aktuellem Anlass auf seinem Elefanten reitend. Eine zeitgenössische Miniatur des Gemäldes hat sich im Stadtarchiv Nördlingen erhalten.

Weitere Elefantenbesuche sind für die Jahre 1629 (im Hof des Hallgebäudes), 1690 (im Gasthof zur Krone) und 1828 (im Goldenen Lamm) belegt. Auch Löwen (1647), ein Nashorn (1748), einen Leoparden, einen Adler, einen Pelikan (alle 1762) und einen dressierten Hirsch (um 1780), der apportierte, Händchen gab und vor den Damen knickste, konnte man auf der Mess’ bestaunen. Mit Bildern von menschenfressenden Seeungeheuern und einem Nil-Krokodil vor der Silhouette der Pyramiden wurde um 1780 der Besuch eines Kuriositätenkabinetts mit ausgestopften Tieren beworben, das zur Messe in Nördlingen aufschlug. 1825 wurde im Gasthof zur Sonne eine Boa constrictor aus Java vorgeführt. Der Nördlinger Chronist Ammerbacher berichtet darüber: „Die Schlange wurde mittags in warmem Wasser gebadet, worauf sie im Zimmer herumkroch und von jedermann konnte angefühlet werden. Sie war ausgestreckt 15 bis 16 Fuß [= 4-5 Meter] lang, und ihr schuppichter Körper war in der Mitte 6 Zoll [= 17,5 cm] dick. In der That ein sehenswürdiges Thier!“ Der heute noch gängige Spruch „Naus in d‘ Welt, auf Nearle nei!“ kam also nicht von ungefähr und war in der Frühen Neuzeit durchaus reell.

Der beschleunigte technische und gesellschaftliche Wandel im 19. Jahrhundert brachte auch mehr Weltoffenheit mit sich, sodass bloßes Betrachten von Tieren nicht mehr reichte. 1894 spannte ein Reithallenbesitzer das – seinen eigenen Angaben nach – größte und schönste Zelt Deutschlands auf der Kaiserwiese auf, in dem Reitkunststücke dargeboten wurden; für Ausritte standen Pferde bereit. 1910 warb ein amerikanischer Dompteur für seinen „Kampf auf Leben und Tod mit entblößtem Oberkörper mit der Bestie“, einem Schwarzbären. Der Zirkus Sidoni brachte 1925 gar Wölfe, Löwen, Schakale, Affen, Bären und weitere Raubtiere nach Nördlingen.

Mit einem Bären war es übrigens 1729 zu einem Zwischenfall gekommen: Als man während einer Vorführung im Hof des Hallgebäudes einen Bären und einen Ochsen hetzte, riss sich der Bär von seinem Seil los, wodurch eine Panik unter den Zuschauern entstand. Glücklicherweise kam niemand zu Schaden.

Ungefährlicher und tierfreundlicher ging man es 1949 an: Ein lebensgroßes Eisbärenkostüm war der heimliche Star auf der Mess’.

 

Dr. Johannes Moosdiele-Hitzler